In einem Anflug von Schwachsinn, wie man in meiner Familie sagt, hatte ich mir für heute eine Strecke von ca. 80 km vorgenommen. „Ich bin doch ausgeruht und die Strecke wird flach sein. Das schaffe ich schon.“ … ja klar.
Natürlich hat man am Anfang noch kein Gespür dafür, wie lang sich 80 km eigentlich anfühlen, und wie viel Kraft und Zeit man wirklich dafür braucht. Das weiß ich zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht. Am Nachmittag habe ich gerade einmal die Hälfte geschafft und fühle mich schon an diesem Punkt meiner Reise leicht gehetzt. Erschöpft raste ich in einem Waldgebiet direkt neben der Landstraße. Am liebsten wäre ich hier geblieben. Doch vom Plan abweichen – dafür bin ich einfach zu stur. Ich will mir nicht schon jetzt eingestehen, dass andere mit ihren Bedenken Recht hatten und ich mich maßlos überschätzt hatte.
Anfängerfehler & Katzen auf dem Kolonistenhof
Mein Ziel ist heute der Kolonistenhof in Neu Duvenstedt. Er wird zusammen mit weiteren ca. 30 Trekkingplätzen von der Stiftung-Naturschutz des Landes Schleswig-Holstein mit Partner*innen aus dem Netzwerk Wildes Schleswig-Holstein als kostenloser Schlafplatz für Reisende mit Zelt angeboten. Eine Rarität in Deutschland! Seinen Namen hat der Kolonistenhof tatsächlich durch seine bewegte Geschichte mit Kolonien und Kolonisten erhalten. Hier könnt ihr mehr über die Historie des Hofes erfahren.
Heute wird der Naturerlebnisraum Kolonistenhof von Menschen mit besonderem Förderbedarf betrieben. Es gibt Ziegen, Hühner, Hasen und mindestens eine Hofkatze, die mir nach meinem beschwerlichen Tag beim Abendessen Gesellschaft leistet. Ich hatte tagsüber nicht ausreichend gegessen (jetzt schon Platz 1 meiner dümmsten Anfängerfehler) und hatte dafür auf den letzten Metern durch ein sehr steiles Waldstück mit schlechtem Kreislauf büßen müssen – meine Achillesferse. Normalerweise habe ich keine Probleme, ausreichend zu essen. Ganz im Gegenteil. Doch als ich mich tagsüber auf die Straße und das Ankommen konzentriert habe, habe ich diesen eigentlich sehr wichtigen Aspekt in meinem Leben tatsächlich vergessen. Das ist gerade beim Radreisen äußerst ungünstig, diese Lektion habe ich heute auf die harte Tour gelernt.
Nun sitze ich zu später Stunde endlich mit meinem Topf Nudeln auf dem Rasen und teile meine Wurst mit dem durchaus fordernden, alten Tier. Sharing is caring. Die Katze genießt die Leckerei und ich genieße seine Gesellschaft, während ich den Tag Revue passieren lasse.
Radreisen in unterschiedlichen Formen
Auf der Rasenfläche des Kolonistenhofes finde ich am nächsten Tag das Gespräch mit einer Familie. Die Eltern radeln einige Tage mit ihren 3 Kindern im Alter von 13-16 Jahren. Dabei trägt jedes Kind sein eigenes Gepäck. Wir tauschen uns über das Radreisen allgemein, Routenplanung und Equipment aus und ich bewundere insgeheim die Einstellung der Eltern, so eine Tour mit ihren Kindern zu unternehmen. Ihr Setup sieht natürlich anders aus. Hier und dort wird verglichen. Der Vater erzählt mir, dass er in zwei Jahren, wenn sein ältester Sohn Abitur hat, mit ihm drei Monate lang durch Schweden radreisen will. Eine fantastische Idee und sicherlich ein ganz besonderes Erlebnis, an das sich beide noch Jahrzehnte lang erinnern werden. Erlebnisse schenken ist immer noch das Beste.
Die Bewunderung ist ganz auf unserer Seite. Mal für ein paar Tage oder Wochen durch den Norden Deutschlands mit der Familie zu radeln, ist ein Erlebnis, bei dem man sich immer in komfortabler Nähe zu Möglichkeiten befindet, dieses Abenteuer unkompliziert zu beenden, wenn es nicht passt oder unkalkulierte Dinge passieren. Sich aber von seinem bisherigen Leben für mehrere Jahre für ein großes Abenteuer zu verabschieden, dazu gehört ganz viel Mut und Selbstvertrauen und sicher auch ein stures Wesen. Einer solchen Entscheidung gebührt Bewunderung.
Vielen Dank, dass ihr eure Erlebnisse teilt.